RUNDGANG TEIL 2
Die Oberkirche
Die Oberkirche erscheint vom Feierhof aus als ein völlig in sich abgeschlossener, unbegehbarer, geheimnisvoller Schrein. Die Außenwände sind mit Platten aus Marmorkiesel bedeckt, die dem festen, harten Baukubus mit ihrer Lichtempfänglichkeit und strahlendem Reflex zugleich etwas Imaginäres geben.
Die bauliche Struktur der Kirche ist von der Schmalseite her am klarsten ablesbar. Ihre Gestalt setzt sich im Grunde aus zwei Bestandteilen zusammen, aus einem inneren Kern, der von der Stirnwand, der Rückwand und der Decke gebildet wird, und dann aus den beiden Längswänden, welche diesen Kern seitlich und oben überstehen und überlappen, ihn gleichsam umfassen. Diese umgreifenden Seitenwände belassen zum inneren Kern hin einen Hohlraum, der – mit Glas verschlossen – einen Lichtrahmen bildet. Er ist die einzige Lichtquelle des Innenraums. Die Architektur beschränkt sich in der Verwendung von Formen auf das Rechteck, die Grundform des heiligen Bezirkes. So entstand ein einfacher, doch monumentaler, präziser, kristalliner Bau, dessen innere Größe und Schönheit in den ausgewogenen Massen liegt. Bei aller Wucht und Strenge spannt er sich mit eigenartiger Selbstverständlichkeit und Leichtigkeit von Tragmauer zu Tragmauer. Zumal bei heller Sonne hat er geradezu etwas Schwebendes an sich. Die Kirche überragt und überkragt den Feierhof. Der Raum des Dunklen, der Trauer wird in ihr erhöht, er partizipiert an ihrer “überirdischen” Situation und wird zum Vorraum, der hingeordnet ist.
Auch die Architektur der Kirche geht in ihrem Äußeren eine Synthese mit einer Plastik ein. Auf der linken Hälfte der Außenwand, über dem Portal, befindet sich eine große Plastik, die im Gegensatz zur dunklen Bronze des Kreuzwegs vergoldet ist. In diesem Werk des Bildhauers Fritz Koenig ist dem Bau ein Siegel aufgeprägt, das eine erste Deutung des Namens “Regina Martyrum” übernimmt. Es ist das apokalyptische Weib in der Sonne, das in Erwartung der Geburt des Erlösers vom Drachen verfolgt wird. Die theologische Deutung als Kirche und Maria gibt dem Namen “Königin der Märtyrer” eine tiefe, ecclesiologische Erfülltheit und hebt ihn über eine geschichtsgebundene Interpretation hinaus. In dem sieghaften Gold der Plastik, das dem Material der Kirchenwand eine erhöhte Farbwertigkeit und Leuchtkraft gibt, ist die Deutung der Überwindung des Todes durch das Leben noch gesteigert. Die Plastik ist der Architektur zugeordnet und ist gleichzeitig auch Portalfigur. Sie zieht damit die Bewegung des großen Platzes mit seiner Treppung auf sich und das Portal zu. Man erlebt im Hinuntersteigen ein machtvolles Nach-Oben- Wachsen des Baukörpers und der Plastik. Sie erheben sich geradezu sichtbar.