Predigt P. Tobias Zimmermann 25.01.2015

Predigt von P. Tobias Zimmermann SJ

Sonntag, 25. Januar 2015

 

Liebe Schwestern und Brüder,

seit den Anschlägen in Paris wird viel über die offene Gesellschaft und ihre Bedrohung geredet. Die Menschen, deren Ermordung wir heute gedenken, starben, weil sie es gewagt hatten, über eine freie und demokratische Gesellschaft als Alternative zum NS –Regime nachzudenken. Der Gedenktag ist also ein guter Moment sich die Frage zu stellen: Was bedroht dieses Erbe tatsächlich, die freie, offene Gesellschaft, welche die Frauen und Männer des Kreisauer Kreises so human und wertvoll fanden, dass es sich allein schon für die Idee zu sterben lohnte?

1. Welche Art Freiheit ist das Erbe der Menschen des Widerstandes?

Ich bin nicht Charlie! Bei aller Trauer um alle Opfer. Die Zeitschrift Charlie Hebdo steht für eine Form der Satire, die für sich ausdrücklich reklamiert, keine Rücksicht zu nehmen. Die Freiheit, so sagen die Vertreter dieser Art Journalismus und Satire, bestehe darin, alles sagen zu dürfen. Sie nehmen sich explizit auch das Recht heraus, Menschen zu beleidigen. Ich aber denke: Dieses Verhalten ist nur der Preis der Freiheit. Wir müssen es ertragen, mehr nicht! Das Herz der Gesellschaftsordnung, die aus den Trümmern des NS-Regimes aufgebaut wurde, beruht wesentlich auf beidem, auf Freiheit und Solidarität. Sie beruht auf dem Recht zur Selbstentfaltung und der Achtung der Würde anderer. Freiheit ohne Rücksichtnahme ist herzlos und inhuman.

2. Was sagt uns dieser Gedenktag darüber, was eine offene und freie Gesellschaft wirklich sein könnte?

Natürlich finde ich es unerträglich, dass Journalisten, Schriftsteller und Karikaturisten sich plötzlich bedroht fühlen. Mit etwas Abstand fällt aber auch etwas anderes auf: Unsere jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger leben seit Jahrzehnten mit einer Gefährdungslage, die es nötig macht, in den Schulen ihrer Kinder Terrorübungen abzuhalten und ihre Gebetshäuser und Restaurants mit schwer bewaffneten Polizisten zu beschützen. Wir fordern von gemäßigten islamischen Theologen, sie müssten gegen den militanten Missbrauch ihrer Religion Stellung beziehen. Einer dieser Theologen berichtete neulich von den Drohungen, die er seit Jahren ertragen muss, weil er genau dies tut. Er schloss nüchtern, dies sei eben der Preis der offenen Gesellschaft. All diese Menschen aus sogenannten Minderheiten ertragen das seit Jahren als den Preis der Freiheit, ohne mit Hass und Militanz zu reagieren. Als Mehrheit der Gesellschaft nehmen wir all das schweigend hin, solange es nur Minderheiten betrifft. Satire war einmal ein Mittel der Ohnmächtigen. Wird derzeit nicht eher auf die Quote schielend die Schadenfreude einer Mehrheit angezapft, die sich Schenkel klopfend auf Kosten einer Minderheit amüsiert? Solidarisieren wir uns dieses Mal also deutlich und aufgeregt mit Charlie, weil der Terror ein Symbol des Mainstreams traf?

Wie also verstehen wir die offene Gesellschaft? Reicht es, wenn verschiedene Gruppen nebeneinander her leben und eine Mehrheit die Minderheiten in ihrer Mitte erträgt, solange ihr Lebensstil dadurch nicht in Frage gestellt wird. Oder interessieren wir uns füreinander, stehen wir füreinander ein und gehen aufeinander zu? Liebe Schwestern und Brüder, bei allem Mitgefühl für alle Opfer. Für unsere offene Gesellschaft ist die wirklich bestürzende Nachricht, dass offenbar viele jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger inzwischen den Auszug aus Frankreich erwägen. Um sie müssen wir kämpfen: Ihr gehört zu uns! Wenn wir Euren Auszug zulassen, verlieren wir als Gesellschaft ein Stück unserer Seele.

3. Es gibt dauerhaft keine echte äußere Freiheit, ohne eine Haltung innerer Freiheit. Das führt uns zu der Frage: Was ist uns die Freiheit wert?

Das eigentliche Symbol der Bedrohung unserer freien, demokratischen Gesellschaft, steht nicht in Paris sondern in Guantanamo. Dort, in der sonnigen Karibik, sind Menschen ohne Gerichtsurteil eingesperrt, einige seit 10 Jahren, viele, obwohl sie gefoltert wurden, und nicht wenige obwohl ihnen Gerichte Unschuld attestiert haben. Guantanamo ist das schändliche Symbol dafür, wie bedroht eine offene Gesellschaft von innen her ist, wenn Hysterie statt Rationalität und Zwang statt innerer Freiheit regiert. Ich sage das nicht mit deutscher Besserwisserei, sondern mit der bangen Frage, wie es um unsere eigene Entschiedenheit steht, für die Menschenrechte einzutreten, wenn es wirklich darauf ankommt?

Liebe Schwestern und Brüder, heute heißt es im Evangelium ganz nüchtern-knapp: Jesus geht nach dem Justizmord an Johannes dem Täufer zurück nach Galiläa. Dahinter steht, dass Jesus untergetaucht war, weil er vom Herrscher selbst mit dem Tod bedroht war. Und nun zieht er sehenden Auges in die Höhle des Löwen. Warum? Weil für ihn wichtigeres auf dem Spiel steht als sein eigenes Leben. Jesus lebt die innere Freiheit der Kinder Gottes, die auch die Lesung heute von uns fordert. Sie keineswegs vergleichbar mit der Menschen- und Lebensverachtung von militanten Extremisten. Jesus liebt das Leben, auch sein Leben. Und es geht auch nicht darum, uns familiäre Geborgenheit und Besitz madig zu machen. Aber die Haltung innerer Freiheit besagt, dass es wichtigeres geben kann als all das, ja sogar als das eigene Leben. Dann nämlich, wenn das eigene Überleben nur möglich ist um den Preis der Selbstaufgabe und der Aufgabe all dessen, was einem heilig ist. Solche Abwägungen scheinen uns im Alltag so weit weg. Aber sie sind es gar nicht: Wir fahren in den Urlaub, obwohl wir wissen, wie gefährlich Autofahren ist. Wir ahnen, dass ein Leben, das sich in die Vermeidung jedes Risikos einsperrt, nur noch verkümmert. Die Frage, die sich uns im Angesicht der Anschläge stellt lautet also lediglich: Wieviel ist uns auch unsere Freiheit und die Würde der Anderen im Ernstfall wert?

 

Liebe Schwestern und Brüder, P Delp hätte sein Leben gewinnen können, er hätte nur auf das Angebot der Nazis eingehen und darauf verzichten müssen, Jesuit und Ordensmann zu sein. Er tat es nicht, weil er fand, dass es schlimmer ist, sich selbst zu verlieren als zu sterben. Er und die anderen Menschen, derer wir heute gedenken, lebten im Sterben eine innere Freiheit, die nicht kapitulieren wollte vor der Gewalt der Skrupellosen. Sie wollten das nicht aufgeben, was ihnen heilig war: Freiheit, Verantwortung und der Respekt vor der Würde der Anderen.

Diese innere Freiheit gehört essentiell zum Wesen des Christen: Wenn Jesus von uns fordert, dass wir jeden Menschen als unseren Nächsten betrachten sollen, dann ist das nicht einlösbar ohne innere Freiheit: Christen sind Weltbürger. Uns geht die Not aller an, die bei uns anklopfen. Deshalb ist es mit dem Christentum gerade nicht vereinbar, wenn Menschen zur Verteidigung ihrer eigenen, deutschen Vorgartenidylle das Kreuz benutzen. Das ist Blasphemie!

Liebe Schwestern und Brüder, ohne unsere mutige Entschiedenheit, aus dieser inneren Freiheit und der Rücksicht auf die Nächsten zu leben, gibt es keine humane, äußere Freiheitsordnung. Dies zu verteidigen, ohne Militanz aber mit aller Entschiedenheit, ist uns als Christen aufgetragen. Amen.

Text der Predigt als PDF

Dieser Beitrag wurde unter Aktuelle Berichte, Allgemein veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.