Fastenpredigt P. Josef Maureder SJ 10.03.2013

Freiheit

„Diese gefesselten Hände vermach’ ich Dir nicht, aber die Freiheit, die die Fesseln trägt und in ihnen sich selbst treu bleibt.“

Predigt von P. Josef  Maureder SJ am 4. Fastensonntag, 10. März 2013

Wie viel und wie Großes ist über die Freiheit schon gesagt worden!  – von den Philosophen, von den Schriftstellern und Dichtern, den Psychologen und anderen. Deren Erwägungen sind alle gut.

Aber lassen wir heute die Erfahrung von Freiheit konkret werden, Fleisch werden in einer Person. P. Alfred Delp hat Wesenszüge christlicher Freiheit kraftvoll gelebt. Einmal stellt er sogar die Frage über sein Leben: „Was will der Herrgott mit alledem? Ist es Erziehung zur ganzen Freiheit und vollen Hingabe?“ (1)

Diese Wesenszüge der Freiheit, die Delp gelebt hat, verstehen, sie verspüren: Das könnte für unseren Alltag hilfreich sein.

Zuerst fällt auf: Wiederholt spricht Delp von der „Freiheit von“, von den Meinungsmachern und dem Druck der Masse

In den 30er und den ersten 40er Jahren des letzten Jahrhunderts ist die nationalsozialistische Idee immer stärker im Volk angeschwollen, der Meinungsfluss wurde zu einem reißenden Strom. Was erlaubt ist zu denken, zu urteilen, zu sagen und zu tun, das wurde von den Mächtigen vorgegeben und von der Masse verstärkt. 1943, am Fest des hl. Stephanus, reflektiert Alfred Delp diese Erfahrung und sieht darin die Bedrohung der Freiheit des einzelnen. Er schreibt:

„Denn das ist im Lauf der Geschichte etwas Alltägliches, dass die Meute und die Masse und der Durchschnittsmensch einen Menschen, der anders ist wie die anderen, nicht erträgt. Das gibt es überall: Wehe dem, der anders ist! Wehe dem, der andere Meinung hat, andere Anschauung, anderes Urteil, eigenen Geschmack hat. Über den fällt man her. Der Mensch hat diese verhängnisvolle Tendenz zur Verherdung und zum Durchschnitt…“(2)

Bereits als Student und junger Jesuit kann sich Delp dem Druck der öffentlichen Meinung, der Verherdung, widersetzen. Später im Gefängnis behauptet er:

„Wer nicht in einer Atmosphäre der Freiheit zu Hause ist, die unantastbar und unberührbar bleibt, allen äußeren Mächten und Zuständen zum Trotz, der ist verloren. Der ist aber auch kein wirklicher Mensch, sondern Objekt, Nummer, Statist, Karteikarte.“(3)

Anfangs hat Delp die Kritik der eigenen Leute oder der staatlichen Meinungsmacher manchmal noch gefürchtet. Aber er wird immer freier von dieser Angst. So sagt er dazu:

„Wenn ich vergleiche die Ruhe und Unbefangenheit während der Tage des Prozesses und bei der Verurteilung mit der Angst, die ich manchmal bei den Angriffen in München hatte: da ist doch vieles ganz anders geworden.“(4) „Denn jetzt bin ich ja erst Mensch geworden, innerlich frei und viel echter und wahrhafter, wirklicher als früher.“(5)

Heute sind die Meinungsmacher meist die Medien und der Druck der Masse bestimmt, was „in“ ist oder „out“. Schon der eigene Freundeskreis oder die Arbeitskollegen können den Herdentrieb wecken. Es ginge also um die christliche Freiheit vom Herdentrieb, vom „man“: Man denkt, man meint, man sagt, man tut, man muss doch heutzutage.

Freiheit von der Meinung und dem Handeln der Masse: Ein wichtiger Aspekt christlicher Freiheit, den uns das Leben von Alfred Delp vor Augen führt. Auch die Fastenzeit will uns daran erinnern: dass wir uns nicht ausreden können auf die Masse oder Mehrheiten. Jeder einzelne ist gefragt.

Dann zeigt Delps Leben einen zweiten Wesenszug christlicher Freiheit: Die „Freiheit zu“: dem eigenen Gewissen, der eigenen Berufung zu folgen

Die „Freiheit von“ ist  kein christliches Ziel. Es bleibt ja die Frage, wofür sie dann eingesetzt wird. Die „Freiheit wozu“, wofür, das ist der springende Punkt. Was ich mit der Freiheit mache, wofür ich sie einsetze.

Hier wird im Leben Delps eine große Treue zu seiner inneren Stimme, zu seinem Gewissen spürbar. Zwei Monate vor seiner Hinrichtung schreibt er: „Ich muss restlos Farbe bekennen.“(6) Und er hat es getan. Es wäre feig gewesen, Verrat am eigenen Herzen und Gewissen, wenn er sich nicht für eine Neuordung Deutschlands engagiert hätte. Wenn er zurückgerudert wäre. Wenn er geschwiegen hätte, als sein Bekenntnis gefordert war. Wenn er ausgestiegen wäre, nur um sein erbärmliches Leben zu retten. Er hätte sein eigentliches Leben vor Gott samt der Aufrichtigkeit und Selbstachtung drangegeben, so ähnlich drückt er sich aus.

Deshalb schreibt er aus dem Gefängnis an sein Patenkind: „Diese gefesselten Hände vermach` ich Dir nicht, aber die Freiheit, die die Fesseln trägt und in ihnen sich selbst treu bleibt.“ (7) Diese innere Freiheit, um dem eigenen Gewissen und dem eigenen Weg treu zu bleiben, das wünscht er seinem Patenkind.

Für Delp als Christ und Jesuit bedeutet die Treue zur inneren Stimme, zum Gewissen, zugleich die Treue zum Willen und Ruf Gottes, der an jeden Menschen ergeht. Gott hat viele Wege, um beim Menschen anzuklopfen, um ihn zu rufen. Immer aber wird dieser Ruf ihn über sich selbst hinausführen, ihn locken, für Größeres zu leben als für das Ich und die Befriedigung der eigenen Bedürfnisse. Freiheit und Offenheit für die persönliche Berufung vor Gott. In Alfred Delps Worten:

„Ob Gott …einen Menschen aus sich herauszwingt durch …Not und Leid, ob er ihn herauslockt durch Bilder der Schönheit und Wahrheit, ob er ihn aus sich selbst herausquält durch die unendliche Sehnsucht, durch den Hunger und Durst nach Gerechtigkeit, das ist ja eigentlich gleichgültig. Wenn der Mensch nur gerufen wird und wenn er sich nur rufen lässt.“(8) Offenheit für den Ruf Gottes! Wiederum Delp: „Aus dieser Offenheit wird er in eine große Freiheit gelangen, eine Freiheit von Krampf und Verblendung und Verkümmerung in sich selbst.“(9)

Ich bin überzeugt, dass Sie diese innere Stimme in Ihrem Leben kennen. Da meldet sich Unruhe, Verwirrung, ein Gefühl von Schuld oder Enttäuschung über sich selbst, wenn sie nicht ehrlich oder echt sind, wenn Sie falsch handeln. Und da ist Friede und innere Kraft, wenn Sie dem guten Geist in Ihnen folgen. Die Freiheit, dem eigenen Gewissen, der eigenen Berufung zu folgen, ist ein weiterer Aspekt christlicher Freiheit, den wir am Leben von Alfred Delp sehen können.

Schließlich erfährt Delp den Grund der Freiheit in Gott allein!

Im Gefängnis erlebt Delp die ganze Härte der Einsamkeit, die nagenden Zweifel, die Anfragen an Gott. Er bittet, er klagt, er fleht, er ringt um die Begegnung mit Gott. Am Ende einer durchwachten Nacht kann das Dunkel sich lichten. Nicht dass faktisch etwas anders geworden wäre. Aber in seinem Inneren sind Licht und Frieden, Standhaftigkeit und Freiheit gewachsen – aus der Begegnung mit Gott. So ruft er uns in zwei bedeutsamen Sätzen zu:

„Der großen Freiheit wird der Mensch nur teilhaft, wenn er seine eigenen Grenzen überschreitet… Die Geburtsstunde der menschlichen Freiheit ist die Stunde der Begegnung mit Gott.“ (10)

Dort, in dieser Begegnung, wächst die Freiheit zur Hingabe, zum äußersten Opfer, weil Gott es möglich macht. Wenn der ewige Gott die Mitte des Lebens ist, dann ist der Mensch frei. Delp durfte glauben und erfahren: Er wird nie tiefer fallen als in Gott hinein, der ihm ewiges Leben schenken will. Das ist der tiefste Grund seiner Freiheit.

Um dieses Erleben von P. Delp noch besser zu verstehen, will ich eine persönliche Erfahrung mit Ihnen teilen.

Es war vor Jahren während meiner schweren Krebskrankheit. Eine durchwachte Nacht. Sie wird mir unvergesslich bleiben. In der Ruhe der nächtlichen Stunden liefen wie in einem Film die vergangenen Jahre meines Lebens vor mir ab. Ich schaute gleichsam zu, denn es geschah wie von selbst. Ich nahm wahr, wie gut Gott zu mir war und ist, gleich ob im Dunkel oder in hellen Tagen. Irgendwie spürte ich auch in vergangenem Leid Seine gütige Spur. Oft war gerade daraus neues Leben gewachsen. Häufig schrieb ich damals an Freunde und Mitbrüder in meiner eigentlich miserablen Situation: Gott ist gut! Und auf mich selbst geblickt war es relativ unwichtig, wie viel ich, wie erfolgreich oder erfolglos ich, wie „aufopfernd“ oder „verirrt“ ich da und dort gehandelt oder gelebt hatte. Denn letztlich schien mir alles umfangen, erlöst im gütigen Blick Gottes. Er machte alles heil. Mich und mein ganzes Leben in der Hand des barmherzigen Vaters zu wissen, der ewiges Leben schenken möchte, das macht frei. Darum habe ich dieser Erfahrung in einem Buch den Titel gegeben: Bekehrung zur Freiheit.

Liebe Mitchristen! Die Fastenzeit lädt uns ein, uns wieder ganz neu Gott zuzuwenden, der uns als barmherziger Vater entgegenkommt. Gott wieder in die Mitte unseres Lebens, in den Alltag einzulassen.

Die Begegnung mit Gott könnte uns von den Meinungsmachern und dem Druck der Masse auch unserer Zeit befreien – wie P. Delp.

Die Begegnung mit Gott könnte uns frei machen, unserem Gewissen treu zu bleiben und unsere Berufung zu leben, unseren persönlichen Weg zu gehen – wie P. Delp.

Diese Freiheit wird wachsen, wenn wir Gott begegnen, der uns befreit und liebt – bedingungslos – in ewiges Leben hinein.

Der barmherzige Gott als Grund unserer christlichen Freiheit! Genau das ist es, bei Alfred Delp: auch – ja gerade – im Angesicht des Todes.

AMEN.

P. Josef Maureder SJ,
Novizenmeister in Nürnberg
für die deutschsprachigen Jesuitenprovinzen

 

(1) Delp, Im Angesicht des Todes, Echter: 2007, 72.
(2) Delp, Fest der Menschenfreundlichkeit Gottes, Knecht: 1985, 62.
(3) Delp, Im Angesicht des Todes. Echter: 2007, 54.
(4) Delp, Mit gefesselten Händen. Freiburg: Knecht, 2007, 229.
(5) Delp, Im Angesicht des Todes. Echter: 2007, 71.
(6) ebd. 52, (7) ebd. 77, (8) ebd. 55, (9) ebd. 26, (10) ebd. 54-55

 

Bücher zum Thema | erhältlich in der Buchhandlung   Der Kloster Laden
• Alfred Delp, Im Angesicht des Todes – Ignatianische Impulse, Echter
• Alfred Delp, Worte der Hoffnung, Echter
• Andreas Schaller: Lass dich los zu deinem Gott, Eine theologische Studie zur Anthropologie von Alfred Delp, Herder
• CD “Im Angesicht des Todes” mit ausgewählten Texten
• DVD “Alfred Delp – Jesuit im Widerstand”

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