Fastenpredigt P. Johann Spermann SJ 24.02.2013

Vertrauen

“Lasst uns dem Leben trauen, weil wir es nicht allein zu leben haben, sondern weil  Gott es mit uns lebt.”

Predigt von P. Johann Spermann SJ am 2. Fastensonntag, 24. Februar 2013

Riecht wie Schule. Dachte ich mir vor zwei Monaten, als ich wieder einmal die Alfred Delp Schule in Ludwigshafen betrat. Alle zwei Jahre spreche ich dort mit Kindern über  Alfred Delp – wer er war und wofür er steht. Da sitzen dann kleine Dritt- und Viertklässler, ganz freundlich und warten, was der fremde Mann zu sagen hat. Alfred Delp kennen Sie nur von einem vergilbten Bild in einem großen Rahmen, das einen jungen Mann mit runder Brille zeigt. Schnell sind wir im Gespräch. Bei der Frage nach dem, was ein Ordensmensch so tut, kommen wir auf das Thema Beten. Das machen fromme Männer, da sind sich die Knirpse sicher und das beschäftigt sie auch selber. Sie haben in der Regel sogar ein Idee wie das mit dem Beten geht: „Einfach dem lieben Gott sagen, was wichtig ist und was er machen soll!“ – meint Jasmin. „Macht er dann auch, was du willst?“ „Weiß nicht.“ Verlegen dreht sich Jasmin auf dem Stuhl, so wie es nur Kinder können.

Da haben wir schon bei den Kindern, was auch Erwachsene in Sachen „beten“ mit sich herumtragen: Vertrauen und Hoffnung gewürzt mit einer großen  Prise Skepsis und einer fast sicher erwarteten Enttäuschung.

Wie Erwachsene setzen Kinder, wenn sie sich bittend an Gott wenden,  einige logische Voraussetzungen, die sie in ihrem Alter noch nicht stören müssen. (1)

Menschen, die sich bittend an Gott wenden, glauben, dass dieser von der Welt verschieden ist, aber ansprechbar sein will von einem freien Gegenüber. Für Betende ist Gott nicht nur der „ganz Andere“ und das unfassbar ferne „große Geheimnis des Lebens“. Der Gott den man anbetet, ist potentiell mächtig. Er kann auf die Bitte des Menschen reagieren.

Dann stellt sich aber sofort die Frage: Warum macht er es dann nicht? Oder warum nur bei einigen und nicht bei allen? Denn, das lehrt uns das Leben: Gott greift nicht so ein, wie wir uns das oft wünschen.

Wie reagiert der Mensch auf diese göttliche Unzuverlässigkeit? Er nimmt sein Leben autonom selber in die Hand. Schon die Kinder wissen: Wer Schnupfen hat, geht zum Arzt und nicht in die nächste Kirche. Das Enttäuschungspotential des Betens ist groß und provoziert die bittere Frage, ob dieser Gott überhaupt gerecht ist, oder nicht sogar ein sadistischer Zuschauer.

„Ich, wäre ich allmächtig, ich würde retten“ in diesem Satz aus dem Lenz von Büchner ist alles gesagt.

Wie soll man diesem Satz entgegentreten? Eine Antwort finde ich bei Dietrich Bonhoeffer, der mit radikaler Konsequenz über Gottes Wirken in der Welt schreibt:

“Und wir können nicht redlich sein, ohne zu erkennen, dass wir in der Welt leben müssen – als ob es Gott nicht gäbe. Und eben dies erkennen wir – vor Gott! … Gott gibt uns zu wissen, dass wir leben müssen, als solche, die mit dem Leben ohne Gott fertig werden. Der Gott, der mit uns ist, ist der Gott, der uns verlässt (Markus 15, 34)! Der Gott, der uns in der Welt leben lässt ohne die Arbeitshypothese Gott, ist der Gott, vor dem wir dauernd stehen. Vor und mit Gott leben wir ohne Gott. Gott lässt sich aus der Welt herausdrängen ans Kreuz, Gott ist ohnmächtig und schwach in der Welt und gerade und nur so ist er bei uns und hilft uns. Es ist… ganz deutlich, dass Christus nicht hilft –  kraft seiner Allmacht, sondern kraft seiner Schwachheit, seines Leidens! … Der Gott der Bibel gewinnt, durch seine Ohnmacht in der Welt Macht und Raum.“ (2)

Kraft seiner Schwachheit, seines Leidens, seiner Ohnmacht hilft Gott! Und wir müssen mit dem fertig werden, was die Welt uns vorsetzt, im Angesicht dieses sich selber zurückhaltenden Gottes, der erst nach Tod und Leid das Zerbrochene zusammenfügen und die Welt neu schaffen wird – nach seinem Willen.

Kraft seiner Schwachheit, seines Leidens, seiner Ohnmacht hilft Gott. Wie kann ich mir das vorstellen?

“Lasst uns dem Leben trauen, weil wir es nicht allein zu leben haben, sondern weil  Gott es mit uns lebt.” (3) … das sagt mit Alfred Delp ein geschundener Mensch, in einer Situation, die nach der Hilfe Gottes schreit.  ‘So, schlafen können Sie heute Nacht nicht. Sie werden beten, und es wird kein Herrgott kommen und kein Engel, Sie herauszuholen. Wir aber werden gut schlafen und morgen früh Sie mit frischen Kräften weiter verhauen.’  (4)  … feixen die SS -Leute den übel verprügelten Delp an.

Was macht Delp: Natürlich fleht er den Herrn an, denn würde er das nicht mehr tun, hätten die Sadisten endgültig gewonnen. Aber er bleibt nicht beim Bitten um ein wunderbares Eingreifen Gottes.  Er überlässt sich offenen Auges dem „Gang der Welt“ im Vertrauen auf den Herrn, der im Leid mit ihm geht. Der „Gang der Welt“, das meint den Raum des menschlichen Handelns, ein Raum voller Freiheit und Möglichkeiten, der aber auch von Bosheit durchzogen ist.

Delp bezeugt, dass sich „dem Gang der Welt zu überlassen“ nichts mit Resignation gegenüber Gott und Leben zu tun hat. In einer Aufzeichnung lesen wir:

„Wenn ich an die Nacht in der Lehrter Straße denke, in der ich Gott um den Tod gebeten habe, weil ich diese Ohnmacht nicht mehr ertragen konnte, dieser Wucht und Wut mich nicht mehr gewachsen fühlte. Wie ich die ganze Nacht mit dem Herrgott gerungen und einfach meine Not ihm hingeweint habe. Und erst gegen Morgen strömte die große Ruhe in mich ein, eine beglückende Empfindung von Wärme und Licht und Kraft zugleich, begleitet von der Erkenntnis: du musst es durchstehen – und gesegnet durch die Zuversicht: du wirst es durchstehen. Es gibt eben Stunden, in denen nur das eine zu tun bleibt: das ganze Weh und die arge Not in einen Flehruf, in einen Schrei nach Erbarmen und Hilfe zu sammeln. Und ihn hinaufzurufen oder zu schreien oder zu weinen und zu klagen und zu wimmern zum Gott des Heilswillens. Das ganze Weh in sich hineinzuklagen in jenen heiligen Raum, in dem Gott unser Selbst anrührt und es liebt und ihm gut ist… Ganz ruhig liegen und seine Ohnmacht wissen und die heilende Hand Gottes suchen.“ (5)

Ich bin von diesem Text tief angerührt und frage mich, ob ich auch zu diesem Vertrauen in der Lage wäre. Ich nehme wahr: Wenn ein Mensch sich aus freiem Willen Gott zuwendet, öffnet sich ein Raum in ihm, in dem Gott wirken kann – Hilfe, Trost und Halt wird.

Gelernt hat Delp diese Weise des Betens bei Ignatius, dem Gründer des Jesuitenordens –  speziell in den großen Exerzitien, die er 1938 machte. Die Antwort Gottes in mir spüren lernen. Genau das erhofft  Ignatius in den Exerzitien, dass Schöpfer und Geschöpf im Beten ins Gespräch finden – in innige Berührung. Die Seele spürt innere Bewegtheit als Folge dieser Berührung.

Wenn ich mich öffne für Gott, kann in mir Raum für ihn entstehen. Ein Raum in dem Gott sich in inneren Bildern, Gefühlen, Impulsen mitteilt. Diese inneren Bewegungen der Seele kann ich deuten und unter-scheiden lernen. Dann werden aus ihnen Entscheid-ungen, Überzeugungen und Handlungen als meine Antwort wachsen – als meine Antwort auf Gottes Berührung. Und dann wirkt durch mich, mein Leben und mein Handeln dieser aus freiem Willen ohnmächtige Gott. Unsere Hände bereiten dem Herrn den Weg in dieser Zeit und Wirklichkeit!

Zurück zu den Kindern. Die meisten von ihnen haben zum Glück noch keine bitteren Erfahrungen sammeln müssen. Irgendwie können sie es stehen lassen, dass Gott nicht alle Wünsche erfüllt und nicht alles Krumme gerade biegt. Das machen Mama und Papa ja auch nicht und trotzdem sind sie wichtig.

„Hm, einem Menschen, der viel betet, was ist dem wohl bei anderen Menschen wichtig?“, frage ich dann weiter. Da sind die Kinder wieder dabei. „Freundschaft, Vertrauen, sich alles sagen können, Verzeihen“, sprudelt es aus ihrer Mitte. „Dem macht es nichts, dass ich rote Haare habe!“, dieser Satz hat mich besonders bewegt.

Die Fastenzeit lädt uns ein, unsere Erwartungen und Haltung Gott gegenüber zu reflektieren. Auch mit den Enttäuschungen, die wir in der Beziehung zu ihm erleben, gilt es zu ringen. Das Beispiel Delps fordert uns heraus, uns von naiven Vorstellungen eines allmächtigen Gottes zu lösen. Wir sollen theologisch erwachsen werden und den inneren Weg des Gebets gehen, der uns hilft, Gottes Werkzeug in der Welt zu werden. Das erfordert die Bereitschaft, dem nachzugehen, was Beten über die erstarrte eigene Praxis hinaus sein kann, sowie Einübung und Disziplin.

Die Fastenzeit lädt uns ein, uns weniger an einem fernen, verklärten, allmächtigen Christus zu orientieren, sondern an Jesus, der das Kreuz auf sich nimmt. Das würde uns als Einzelne und die Kirche verändern. Das hieße Abschied nehmen von Macht und Allmachtsallüren.

Aber wäre das nicht ein echt christlicher Beitrag für eine gerechte Welt, wenn in unserer Mitte sich niemand sorgen und ausgeschlossen fühlen müsste, weil er oder sie – anders ist, glaubt, lebt und empfindet.

Was für ein Traum. Amen

P. Johann Spermann SJ
Ludwigshafen, Direktor des Heinrich Pesch Hauses,
Katholische Akademie Rhein-Neckar

(1) Vgl. Prof. Magnus Striet: Hilft beten? Herder 2010
(2) Dietrich Bonhoeffer: Widerstand und Ergebung. Briefe und Aufzeichnungen aus der Haft . Hg. Von E. Bethge (1951). 11. Aufl. d. Tb., Gütersloh: Mohn, 1980, 177ff.
(3) Zitiert nach: Andreas Batlogg SJ, P. Alfred Delp SJ – „Lasst uns dem Leben trauen“. Erinnerungen an den Jesuiten Alfred Delp (1907-1945). Batlogg schreibt: „Das Motto des Deutschen Katholikentages 1984 in München ging auf Delp zurück: ‚Lasst uns dem Leben trauen, weil wir es nicht allein zu leben haben, sondern Gott es mit uns lebt“ – hingekritzelt mit gefesselten Händen am 24. Dezember 1944 in der Gefängniszelle, nach monatelanger Folter und Isolationshaft.“
(4) Alfred Delp, Im Angesicht des Todes. Frankfurt/M. 1954., S. 41.
(5) Alfred Delp, Im Angesicht des Todes. Frankfurt/M. 1954., S. 36 f.

 

Bücher zum Thema | erhältlich in der Buchhandlung   Der Kloster Laden
• Alfred Delp, Im Angesicht des Todes – Ignatianische Impulse, Echter
• Alfred Delp, Worte der Hoffnung, Echter
• Andreas Schaller: Lass dich los zu deinem Gott, Eine theologische Studie zur Anthropologie von Alfred Delp, Herder
• CD “Im Angesicht des Todes” mit ausgewählten Texten
• DVD “Alfred Delp – Jesuit im Widerstand”

 

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