Predigt von Bischöf Dröge zum Aschermittwoch der Künstler 13.02.2013

Predigt von Bischof Dr. Markus Dröge zum Aschermittwoch der Künstler

13. Februar 2013, Regina Martyrum, Matthäus 7,21-23.

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes
und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen. Amen.

I.

Der Aschermittwoch der Künstler in Berlin ist ein ökumenisches Ereignis. Und zum zweiten Mal feiern wir ihn in einem besonders ereignisreichen Umfeld.

Vor einem Jahr, hat Bruder Woelki, frisch aus Rom zurückgekehrt, seinen ersten ökumenischen Gottesdienst als Kardinal am Aschermittwoch der Künstler in St. Matthäus gefeiert. Heute nun feiern wir unter dem Eindruck des angekündigten Papstrück- tritts. Ein mutiger, bewegender Schritt, der in seiner Bedeutung noch gar nicht umfas- send interpretiert werden kann.

Natürlich, es ist kein Geheimnis, dass die katholisch-evangelische Ökumene unter Papst Benedikt keine Blüte erlebt hat. Die hohen Erwartungen an den ersten deutschen Papst seit der Reformation, haben sich nicht erfüllt. Und die Reformen, die viele katholische Geschwister sich für ihre Kirche gewünscht haben, sind nicht erkennbar vorangetrieben worden.

Es könnte aber sein, dass der Rücktritt von Papst Benedikt sich als der größte reformerische Akt seines Pontifikates erweisen wird. Der Mensch tritt hinter dem Amt zu- rück, versteht sein Amt als eine Verantwortung auf Zeit, die er dann abgibt, wenn die Kräfte nachlassen. Es ist zutiefst menschlich, die Last eines Amtes ablegen zu dürfen. Wir, in der evangelischen Kirche, kennen den liturgischen Akt der Entpflichtung. So wie ich als Bischof bei Amtseinführungen einem Bruder, einer Schwester, die Last eines Amtes unter Handauflegung im Namen Christi übertrage, so nehme ich die Last des Amtes in gleicher Weise unter Handauflegung, wenn ein Pfarrer, eine Pfarrerin entpflichtet wird. Und dabei spüre ich geradezu körperlich die Erleichterung, die diese Entpflichtung schenkt.

Dem Bruder in Christus, der das Amt des Bischofs von Rom und des Oberhauptes unserer römischen Schwesterkirche gradlinig, bescheiden und mit Würde getragen hat und bis Ende dieses Monates noch tragen wird, wünsche ich, dass er diese Erleichterung als ein deutliches Zeichen der Gnade Gottes erfahren und dankbar annehmen kann. Wir bezeugen Christus am besten, wenn wir ganz menschlich sind, so wie Christus selbst ganz Mensch war.

II.

Auf diesen Christus, der gelitten hat, wie Menschen leiden, schauen wir nun heute hier in der Kirche Maria Regina Martyrium. Und wir versuchen uns der Bedeutung seines Leidens für uns heute zu nähern. Dazu will ich Ihnen ein Bild vor das geistige Auge malen.

„Christus in Gethsemane kniend“.

So heißt die erste sakrale Monumentalarbeit, die der Bildhauer und Prediger Wilhelm Groß 1922 fertig gestellt hat. Ein kniender Jesus, mit gefalteten, ringenden Händen und ausdrucksstarkem Antlitz.

Die Figur ist aus einem großen Holzblock herausgehauen, erst mit dem Beil, dann mit breitem, später mit feinem Bildhauereisen.

Hinter dieser Arbeit steckt eine immense körperliche und geistige Anstrengung. Wilhelm Groß hat mit Hingabe, ja Manie gearbeitet.

„Manchmal fast völlig entkleidet rann ihm der Schweiß vom Körper“, erinnert sich seine Frau Frieda. Er verzichtete auf Pausen und arbeitete durch.

Heute ist die Skulptur in der Gethsemane-Kirche in Berlin-Prenzlauer Berg zu sehen. Menschen können davor eine Kerze anzünden. Bevor die Figur jedoch in den 1920er Jahren aufgestellt wurde, gab es Proteste. Dieser Christus sei eine Gotteslästerung, wurde dem Werk vorgeworfen. Große Teile der Gemeinde waren offenbar dem Thorvaldschen Christus-Bild verhaftet: ein segnender Christus, ein schöner, sanfter und milder Typ, mit sorgfältig gekämmten Haaren, einladender Geste und griechischer Gewandung.

Diese Statue steht in Überlebensgröße vor der Gethsemane-Kirche.

Wilhelm Groß aber hat das Bild des leidenden Christus vor Augen.
Nur dieser Christus, so ist er überzeugt, ist der zerrissenen Zeit angemessen Nur der leidende Christus kann die Menschen in ihrer Not wirklich erreichen. Für Wilhelm Groß war die Kunst Glaubensbekenntnis und Predigt zugleich.

Die Holzplastiken, die er schuf, waren meist aufgereckt, nach oben gewandt, über sich selbst hinausweisend – betend oder klagend.

So wird Gott erkannt.
Grobe Formen, kantig. Gott im Gewand der Niedrigkeit; der leidende, der leidenschaftliche Christus!

III.

Passionszeit – wir sind unterwegs, mit dem leidenden Christus.

Wie der Künstler im Schweiße seines Angesichts um seine Skulptur, um Christus, gerungen hat, so ringen auch wir in der Passionszeit mit dem leidenden Christus. Der leidende Christus – unser Gottesbild?

Wir ringen um Wahrhaftigkeit.

Erkennen wir im leidenden Christus uns selbst als leidende Geschöpfe?
Erkennen wir uns als diejenigen, die Leid verursachen?
Erkennen wir Gott, der uns im Leiden nahe kommt?

In diesem Gottesdienst werden wir mit dem Aschekreuz gezeichnet. Zeichen der Buße, Eingeständnis der Schuld.

Und doch ein Hoffnungszeichen: Umkehr ist möglich, wenn wir uns ernsthaft auf den Weg machen; wenn wir um Christus ringen.

„Tut Buße!“ ruft Jesus uns zu. „Und glaubt an das Evangelium. Denn die Zeit ist erfüllt und das Reich Gottes ist herbeigekommen.“ (MK 1,15)

IV.

Das Ringen um Christus – davon spricht auch der heutige Predigttext aus dem Matthäusevangelium. Ein Stück aus der Bergpredigt Jesu. Dort heißt es im siebten Kapi- tel:

21 Es werden nicht alle, die zu mir sagen: Herr, Herr!, in das Himmelreich kommen, sondern die den Willen tun meines Vaters im Himmel. 22 Es werden viele zu mir sagen an jenem Tage: Herr, Herr!

Haben wir nicht in deinem Namen geweissagt?
Haben wir nicht in deinem Namen böse Geister ausgetrieben?
Haben wir nicht in deinem Namen viele Wunder getan?

23 Dann werde ich ihnen bekennen: Ich habe euch noch nie gekannt; weicht von mir, ihr Übeltäter!

Es gibt Bibelstellen, die uns mitnehmen und uns aufbauen.
Und es gibt die anderen Bibelworte, scheinbar unbehauen und grob. Mit ihnen müssen wir ringen. Zu ihnen gehört der heutige Predigttext.

Jesus spricht ein hartes Urteil. Es reicht nicht, so sagt er, wenn ihr im Leben nur „Herr, Herr“ gesagt habt, um ins Himmelreich zu kommen. Es geht nicht nur um das äußerliche Bekennen, sondern um die innere Haltung, um das Tun, das daraus folgt. Es geht nicht um Lippenbekenntnisse. Es geht um ein glaubwürdiges Leben.

V.

In diesem Jahr 2013 ringen wir als Christinnen und Christen in Berlin um unsere Glaubwürdigkeit.

Das Themenjahr der Stadt „Zerstörte Vielfalt“ erinnert an die Zeit Berlins im Natio- nalsozialismus. Die Gedenktage „80 Jahre Machtübernahme der Nazis“, „Bücherverbrennung“ und „75 Jahre Reichspogromnacht“ bilden dafür den Rahmen. Viele Veranstaltungen werden von Kirchengemeinden angeboten.

Wir stellen uns der Erinnerung an die Vergangenheit – wir scheuen nicht die historische Aufarbeitung, im Gegenteil, wir fördern sie. Wir suchen nach neuen Formen erinnernder Vergegenwärtigung, um nachfolgenden Generationen weiterzugeben, wie wichtig das Ringen um Wahrhaftigkeit ist. Es gibt sie nicht von selbst!

Wir verdrängen nicht, dass viele Christinnen und Christen in der Nazizeit leichtfertig „Herr, Herr“ gesagt haben; dass sie religiöse Worte gemacht haben, ohne aber Christus zu folgen.

Zu den Deutschen Christen gehörten eine Reihe von Pfarrern und Gemeindemitgliedern, die das Ziel hatten, die evangelische Kirche für die Ideen des Dritten Reiches zu gewinnen. Zu oft ließ sich die Kirche instrumentalisieren und wurde so in vielen Fällen selbst zum Täter.

Wie leicht der Glaube, der doch auf Barmherzigkeit und Nächstenliebe, der auf die leidenden Menschen ausgerichtet ist, sich manipulieren ließ, das gehört zu den erschreckenden und beschämenden Einsichten aus dieser Zeit.

Und doch hat Jesus selbst schon vor dieser Gefahr gewarnt: Es werden viele sagen: „Herr, Herr!“ – und die Wahrheit nicht erkennen.

Wir erinnern in diesem Jahr, besonders am 10. Mai auf dem Bebelplatz, daran, dass die Künstler, die freischaffenden Denker, mit die ersten waren, die verfolgt wurden. Bücher wurden verbrannt. Kunst als „entartet“ verfemt.

Und auch dieser gottesdienstliche Ort, die „Gedächtniskirche der deutschen Katholiken zu Ehren der Blutzeugen für Glaubens- und Gewissensfreiheit in den Jahren 1933-1945”, die in diesem Jahr ihr 50jähriges Jubiläum feiert – auch dieser Ort fordert dazu heraus, die Erinnerung an die Vergangenheit wach zu halten und sensibel zu werden für heutige Formen von Intoleranz und Diskriminierung.

Wir erinnern auch an Gegenstimmen aus der Zeit des Nationalsozialismus, an Menschen, die für Freiheit und Würde eingestanden sind, die nicht mitgespielt haben, die nicht „Herr, Herr“ gesagt, sondern die ihr Leben glaubwürdig gestaltet haben, die Nachteile und Verfolgung riskiert haben. Und damit Vorbilder für uns heute sind.

VI.

Wilhelm Groß, Künstler und Prediger, hat im Schweiße seines Angesichts mit Beil und Bildhauereisen um Christus gerungen.

Sein Schaffen wurde durch den Machtantritt der Nationalsozialisten 1933 jäh unterbrochen. Als Halbjude wurde ihm die Mitgliedschaft in der Reichskulturkammer verweigert. Damit konnte er seine Werke nicht mehr ausstellen und verkaufen. Seine Arbeiten wurden zur entarteten Kunst gezählt. Und doch ließ er sich nicht abbringen. In seinem Atelier in Oranienburg, das im Volksmund „Strohkirche“ hieß, arbeitete und predigte er. Er wurde aktives Mitglied der Bekennenden Kirche. Viele Sitzungen mit führenden Persönlichkeiten der Bekennenden Kirche, darunter Kurt Scharf und Martin Niemöller, fanden im Verborgenen in der Strohkirche statt. Es gab Lichtbildvorträge über Kunst, über Reisen. Und es gab Dichterabende. Ein Musiklehrer leitete einen Singkreis, Kindergottesdienste wurden abgehalten, Trauungen und Taufen vollzogen.

Wilhelm Groß hat gezeigt, dass politische Unterdrückung und staatliche Gewalt den unabhängigen schöpferischen Geist nicht ausschalten können. Es war ein stetiges Ringen, denn Glaubwürdigkeit und Wahrhaftigkeit müssen erstritten werden.

VII.

Wie Religion kann auch Kunst instrumentalisiert werden. Auch sie kann nachplappern und in Szene setzen, was Ideologie ihr vorgibt. Kunst kann sich zur Dienerin von Machtinteressen und Herrschaft machen. Genau wie die Religion.

Im Ringen um Glaubwürdigkeit und Wahrhaftigkeit jedoch zeigt sich ihr Wesen. Und darin gleichen sich Kunst und Religion. Die schöpferische Freiheit, die errungen werden will, die widerständig ist und bleibt, müssen wir bewahren. Vor dem Hinter- grund der eigenen Vergangenheit müssen wir uns heute stark machen für eine freie Kunst. Und für einen starken, widerspenstigen Glauben.

Um Christus ringen, glaubwürdig und wahrhaftig Zeugnis davon ablegen, wie wir es mit unserem Leben halten – Kunst und Religion können uns dabei in ein vertieftes Verständnis der Welt führen. In eine Freiheit, die widerständig bleibt, die dem Leben immer neu abgerungen werden muss.

Kunst und Religion verbinden sich darin, leidensfähig zu sein für den schöpferischen Geist, der sich nicht erschöpft in einem unkritischen „Herr, Herr“.

In der Passionszeit sind wir auf dem Weg. Auf dem Weg, die Leidenschaft Christi in unserem Leben zu entdecken. Ein Weg, der uns mit unserer eigenen Schuld konfrontiert, mit unserem Versagen, unserer elenden Begrenztheit, die wir an uns selber verachten.

Doch trotz allem verachtet ER uns nicht. Denn ER ist einer von uns geworden. Ein Leidender. Ein am Leben Zweifelnder. Ein Kreuz Tragender. Ein Christus in Gethsemane kniend. Mit Tränen in den Augen.

Und doch voller Vertrauen, als er im Garten betet:

„Abba, mein Vater, alles ist dir möglich; nimm diesen Kelch von mir, doch nicht, was ich will, sondern was du willst geschehe.“

Mit diesem Christus verbinden wir uns. Von seiner Leidenschaft lassen wir uns ergreifen.

Mit einem Kreuz aus Asche auf unserer Stirn.

Amen.

Dr. Markus Dröge
Bischof der der Evangelischen Kirche
Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz

 

Dieser Beitrag wurde unter Aktuelles, Allgemein veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.