Aus Vergangenheit für die Gegenwart
Am 30. November 1961 wurde die Richtkrone über dem Bau der Kirche hochgezogen. Generalvikar Prälat Walter Adolph hielt die Ansprache:
Als Vertreter des Bauherrn der Gedächtniskirche »Maria Regina Martyrum« möchte ich bei dem Richtfest vor allem unserer Freude Ausdruck geben, dass wir beim Aufbau des Gotteshauses einen so wichtigen Abschnitt erreicht haben. Zur Freude haben wir reichlichen Grund. Einmal strömt sie uns aus dem rein menschlichen Bereich zu. Fast ein Jahrzehnt haben wir für diese Gedächtniskirche und Gedächtnisstätte geplant; seit langem hauen wir an ihr, und das alles ging Hand in Hand mit Aufgaben, die zu lösen an Geist und Hand der Beteiligten hohe Anforderungen stellten. Wenn jetzt die Richtkrone in die Höhe schwebt, so ist sie ein Zeichen dafür, dass unser menschliches Planen in weitem Maß sichtbare Gestalt angenommen hat. Darüber freuen wir uns von Herzen in dieser Stunde.
Foto: Diözesanarchiv Berlin
Einen weiteren Anlass für unsere Freude gibt uns der Blick auf die besondere Lage unserer Stadt und unseres Bistums. Wir stimmen wohl alle darin Überein, dass nach dem 13. August unser aller Leben als Berliner durch die Mauer einen tiefgreifenden Wandel erfahren hat. Keineswegs wollen wir auf die politischen Aspekte der Spaltung unserer Stadt eingehen. Wir wollen uns nur darauf beschränken festzustellen, dass die Urheber der Mauer unser menschliches Zusammensein mit unseren Blutsverwandten und mit unseren Freunden zerrissen und uns Wunden geschlagen haben, die solange nicht heilen werden, bis wir wieder in Freiheit zusammenkommen können. Über diese Verletzung urmenschlicher Rechte hinaus aber haben die Urheber der Mauer sich erhofft und erhoffen es noch, dass in dem Teil unserer Stadt, in dem wir in Freiheit unsere staatliche, gesellschaftliche und kirchliche Ordnung gestalten dürfen, die Menschen verschreckt, verängstigt und gelähmt würden. Sie beabsichtigen, mit der Mauer auch den freien Bürgersinn, unseren Lebenswillen und unsere Aktivität zu treffen. Aber sie haben sich verrechnet und werden sich verrechnen. Auch nach dem 13. August haben wir unser Werk fortgesetzt. Die Richtkrone, die Über diesem Hau schweben wird, verkündet, dass der Wille zum Auf- und Ausbau in uns ungeschwächt weiterlebt, und dass wir entschlossen sind, in Freiheit unser Leben so zu gestalten, wie wir es vor Gott und vor unserem Gewissen verantworten können. Zugleich bekunden wir unsere Entschlossenheit, noch für manches andere kirchliche Bauwerk die Richtkrone hochziehen zu lassen. Über all das erfüllt uns wahre Freude.
Schließlich möchte ich auf die Freude hinweisen, die in unserem religiösen Leben wurzelt. Dieses Gotteshaus erwächst aus der Ehrfurcht und Dankbarkeit, aber auch aus der Verpflichtung, die wir für jene Menschen haben müssen, die um der Glaubens- und Gewissensfreiheit willen in den Jahren 1933 bis 1945 ihr Blut hingegeben haben; ihre Zahl in unserem Volk ist nicht klein. Aber wir wollen an dieser Stätte nicht allein das Gedächtnis an die Söhne und Töchter unseres Volkes wachhalten, die für uns das Opfer ihres Lebens gebracht haben. Wir wollen hier auch aller Mitmenschen aus den Völkern Europas gedenken, die um der Wahrheit und Gerechtigkeit willen unter der Hitler-Diktatur ihr Leben ließen. Stellvertretend für alle Nationen möchten wir in dieser Stunde an die Opfer erinnern, die das polnische Volk in erschütternd großer Zahl unter der erbarmungslosen NS-Diktatur gebracht hat. Wir werden auch die Hände zum Gebet falten im Blick auf die zahllosen unschuldigen Opfer aus dem jüdischen Volk.
Wir haben den Platz am Heckerdamm für die Gedächtniskirche ausgewählt, weil er in der Nachbarschaft der Hinrichtungsstätte Plötzensee liegt. Dort ließen Männer wie Pater Delp, Letterhaus und Groß und als evangelischer Christ Graf Moltke, das Haupt des Kreisauer Kreises, ihr Leben, um einige wenige Namen zu nennen. Plötzensee ist aber für uns nur Symbol für die anderen Richtstätten und Lager, in denen unsere Blutzeugen starben.
Leben aus dem Opfer
Die Gedächtniskirche »Maria Regina Martyrum« soll uns, die lebende Generation, aber auch die kommenden Generationen an die unaufhebbare Wahrheit erinnern: jeder Mensch, jede Familie, jede Gemeinschaft lebt aus dem Opfer des Mitmenschen. Keineswegs allein der technische Fortschritt und die hohe Lebenshaltung gewährleisten schon dem Menschen und dem Volke das Heil; wenn nicht all das beseelt und gelenkt wird von dem Geist, Dienst zu leisten und Opfer für den Mitmenschen zu bringen, wird es wertlos. Dienst und Opfer aber erhalten ihren gültigen und aufbauenden Impuls aus der Bindung des Menschen an Gott. Die Blutzeugen, zu deren Gedächtnis wir »Regina Martyrum« bauen, nahmen die Kraft zu ihrem Opfergang aus der in bitterer Erfahrung gewonnenen Einsicht: wer Gottes Gesetz mit Füßen tritt, der tritt auch Freiheit, Recht und Würde des Menschen in den Staub. So wussten sie bei ihrem Handeln ihr Gewissen in Einklang mit Gott, weil sie sich für Freiheit, Würde und Recht des Menschen einsetzten. Wir wären ihrer nicht würdige, wenn wir diese Stätte nicht erbaut hätten. Und dass die Geschichte unseres Volkes uns legitimiert, eine solche Gedenkstätte zu errichten, ist für uns eine Quelle nie versiegender Freude und unauslöschlichen Dankes.
Aber ist das alles nur geschichtliche Vergangenheit? Nein! Geist und Gesinnung unserer Blutzeugen müssen in unserem Volke fortleben, wenn unser Volk innerlich gesund bleiben will. Geist und Gesinnung unserer Blutzeugen müssen unser Volk beseelen, weil wiederum das Verderben droht, dass die Gesetze Gottes und damit Freiheit und Würde des Menschen verletzt werden.
So wird dieses Gotteshaus als mahnendes Zeichen inmitten unserer Stadt errichtet, ein Zeichen, von dem wir in Berlin ZU sagen wagen, dass es verstanden wird und dadurch das Opfer der Vergangenheit für die Gegenwart fruchtbar werden lässt. Diese Gewissheit lässt uns für Berlin und alles Land um Berlin hoffen!
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